Zukunftsfeste Stadtverwaltung
Wichtig und eigentlich klar ist, dass die Stadtverwaltung sich – wie jede andere Organisation und jedes Unternehmen auch – vorbereiten und ausrichten muss auf die Zukunft. Das Problem ist dabei, wir wissen noch nicht, wie die Zukunft aussehen wird. Daher wird bei der Ausrichtung die Fähigkeit, sich schnell, flexibel und angemessen auf neue Situationen und Entwicklungen einstellen zu können, eine große Rolle spielen.
Letztendlich ist das Thema Veränderungen auch für die Stadtverwaltung nicht neu. Anpassungen waren schon immer notwendig.
Aber…
- Geschwindigkeit der Veränderungen nimmt zu.
Neu ist aber die Geschwindigkeit in der sich Entwicklungen ausbreiten und die exponentielle Zunahme dieser Geschwindigkeit. Technologische, aber auch sozial-ökologische Entwicklungen schreiten massiv voran. Sie ermöglichen einerseits völlig neue Problemlösungen, erfordern aber eben auch die Auseinandersetzung mit immer neuen Themen. - Komplexität bei Themen und Problemlösungen nimmt zu.
Bei vielen Themen und Aufgaben nimmt die Komplexität zu. Themen sind abhängig von anderen Themen, der Umwelt- und Klimaaspekt spielt überall positiv oder negativ mit hinein, Entscheidungen werden schwieriger, denn gewünschte Entwicklungen auf der einen Seite, können schnell auch unerwünschte Entwicklungen auf der anderen Seite nach sich ziehen. - Die Ansprüche der Menschen nehmen zu.
Mit den wachsenden Möglichkeiten verändern sich die Ansprüche der Menschen an ihr städtisches Umfeld. Oft nehmen sie zu. Bürgerinnen und Bürger erwarten bessere und auch digitale Services, erwarten, gefragt und eingebunden zu werden. Wird das nicht erfüllt, wechseln sie halt den Anbieter. Auch Nachbarstädte haben schöne Angebote, interessante Vereine, attraktive Plätze und vielleicht relevantere Einkaufsmöglichkeiten. Vereinsmitglieder erwarten von ihren Vereinen ein Angebot, welches ihren geänderten Werten entspricht oder sie engagieren sich eben woanders und oft auch außerhalb institutionalisierter Strukturen.
Damit muss eine Stadt und eine Stadtverwaltung umgehen und vor allem in der Lage sein, damit umgehen zu können!
Was ist das Ziel?
Ziel muss es also sein, die Stadtverwaltung so zu gestalten, dass sie in der Lage ist den Wandel von Viernheim zu begleiten und aktiv zu beeinflussen. Dabei geht es nicht nur um die digitale oder die sozial-ökologische Zukunft, sondern auch darum, die veränderten Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger zu erkennen, zu verstehen und in angemessenes Verwaltungshandeln zu übersetzen. Hinzu kommt, andere städtische Akteure wie zum Beispiel Vereine, Parlament, Parteien etc. zu unterstützen, diesen Wandel ihrerseits zu verstehen und damit umzugehen.
Anpassung an neue Begebenheiten ist also das Stichwort. Und die Anpassungen müssen oft, wie jetzt bei Corona, sehr schnell passieren.
Das gelingt vor allem dann, wenn die Stadtverwaltung darauf eingestellt und ausgerichtet ist. Die „alten“ Verwaltungsaufgaben werden in naher Zukunft vermutlich weitgehend automatisiert geschehen und bedürfen nun noch weniger menschlicher Zuarbeit. Die neue Aufgabe ist es, die Veränderung der Stadt zu bewältigen. Dazu ist es auch notwendig, ein Stück weit, die Stadt neu zu erfinden.
Die Zukunft zu bewältigen ist das eine. Das andere ist, dass eine derart ausgerichtete Stadtverwaltung, weiteren Krisen (z.B. Pandemien) gestärkt begegnen kann. Die Widerstandskraft oder neudeutsch gesagt: Die Resilienz der Stadt wird dadurch erhöht.
Wie sieht die Stadtverwaltung der Zukunft aus?
Bei der Frage spielen viele Aspekte eine Rolle und es bedarf sicherlich weiterer Überlegungen zu dieser bedeutenden Frage. Ich habe im Folgenden ein paar wichtige Aspekte aufgeführt. Die Reihenfolge der Punkte ist zufällig und nicht nach Wichtigkeit sortiert.
- Hohe fachliche Kompetenzen: Dafür braucht es hohe fachliche, interdisziplinäre, methodische und soziale Kompetenzen! In der Welt des Wissens hat sich viel getan und es ist notwendig, hier aktuell zu bleiben.
- Diversität beim Personal: Die Stadtverwaltung braucht eine hohe Vielfalt beim Personal, Unterschiedlichkeit im Denken und damit mehr Perspektiven und Ideen. Das Personal sollte von den Fachdisziplinen breit gestreut sein, es sollten Generalisten als auch Spezialisten für Themen da sein, Männer und Frauen, verschiedene Nationalitäten, verschiedene Alter etc. Je unterschiedlicher, umso besser. Auch über die Hierarchie hinweg sollte die Unterschiedlichkeit sich zeigen. Wenn alle Amtsleiter Männer mit verwaltungswissenschaftlichem Hintergrund sind, ist die Diversität nicht gegeben!
- Digitalisierung: Die Digitalisierung wird viele Arbeiten einfacher machen und Prozesse komplett automatisieren. Das erfordert am Ende weniger Personal in der Administration und macht Ressourcen freie für neue Aufgaben (Gestaltung, Betreuung, Kommunikation etc.). Und je stärker die Verwaltung digitalisiert ist, umso resilienter wird sie!
- Knowhow-Netzwerke bilden: Heute kann man als kleine Organisation nicht mehr alles wissen. Gerade aber das Wissen entwickelt sich schnell weiter und neues Wissen kommt hinzu. Es braucht Strategien und Ressourcen hier mitzuhalten. „Wissensmanagement“, Knowhowträger und Austausch mit anderen werden zukünftig eine noch größere Rolle spielen. Partner dafür können zum einen die städtischen Betriebe sein, aber auch andere Städte, mittelständische Unternehmen, Hochschulen, Forschungsinstitutionen, Startups, Partnerstädte, Verbände etc.
- Interdisziplinäres und selbständiges Lernen: Lernen wird noch wichtiger, als es schon war. Bei den Entwicklungen mithalten können, vielleicht sogar ein Stück weit voraus sein, um beste Problemlösungen finden zu können, erfordert ständiges Lernen. Das ist vom, Prinzip her nicht neu, aber in vielen Organisationen gleichwohl nicht umgesetzt. Selbständiges Lernen ist dabei wichtig, auch außerhalb der klassischen Lernsituationen wie Seminar, Schule und Workshop. Webinare oder auch die eigenständige Erarbeitung von benötigtem Wissen per Buch (!) und Internet gehören dazu. Ein weiterer Aspekt ist das interdisziplinäre Lernen. Es reicht heute nicht mehr aus, sich nur in seiner eigenen Fachdisziplin zu bewegen, sondern man muss auch in anderen Disziplinen, Fachwissen haben und aufbauen können.
- Flexiblen Personaleinsatz ermöglichen: Es wird immer wieder Situationen geben, für die für begrenzte Zeit mehr Personal notwendig sein wird. Daher muss es gelingen, die Bereitschaft sowie die Kompetenzen dafür zu entwickeln. (Es geht nicht an, dass man in schlimmsten und teuerste Pandemie aller Zeiten sagt, man hätte nicht genug Personal um bestimmte Dinge sinnvoll zu tun.)
- Wollen – Können – Machen: Da ist der wichtige Dreiklang, der dafür notwendig ist: Man braucht das entsprechende Mindset dafür, muss sich die notwendigen Kompetenzen aneignen und muss vor allem in die Umsetzung gehen!
- Silos aufbrechen und Organisationsstrukturen anpassen: Damit müssen entsprechend flexible Organisationsstrukturen einhergehen. Mit den klassischen „Silos“ und Ämtern können heute viele Probleme nicht mehr gelöst werden. So können beispielsweise Drogenprobleme von Jugendlichen an bestimmten Orten nicht vom Ordnungsamt ODER von der Jugendpflege bearbeitet werden, sondern erfordern sinnvollerweise einen Kompetenzmix von Menschen aus Stadtplanung, Kultur & Sport, Ordnungsamt, Jugendpflege, Wirtschaftsförderung und ggf. weiteren. Dabei geht es nicht um die Beteiligung der jeweiligen Ämter, sondern um die jeweiligen fachlichen Kompetenzen, Einschätzungen und Lösungsansätze. Anders sind komplexe Themen heute nicht mehr zu lösen. Und dafür braucht es ggf. entsprechend neue und andere Rahmenbedingungen und Strukturen, etwa agile Teams, Vertrauenskultur, Delegation, flexible Führung in Netzwerken etc..
- Vertrauen in die Stadtverwaltung: Die Verwaltung muss sich eine Vertrauensstellung aufbauen in Bezug auf ihre Aufgaben. Parlament und Bürgerinnen und Bürger müssen darauf vertrauen können, dass in der Stadtverwaltung gute Arbeit geleistet wird, die fachlichen Einschätzungen fundiert sind, gerecht gehandelt wird etc. Dies gilt für den Alltag als auch für Krisen- und Sondersituationen.
- Entwicklungsfähigkeit: „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder „Das haben wir ja noch nie so gemacht“ sind in einer Zeit der immer schnelleren Entwicklung auf allen Ebenen unangemessen. Die Stadtverwaltung braucht das Bewusstsein, den unbedingten Willen und die Fähigkeit, sich ständig und schnell entwickeln zu können. Nur so können die gesellschaftlichen Entwicklungen aktiv und konstruktiv begleitet werden. Die Welt entwickelt sich unweigerlich weiter. Die Stadtverwaltung muss jetzt die Entscheidung treffen, ob sie die Entwicklung aktiv und konstruktiv mitgestalten will oder sich irgendwann von der Realität einholen lassen will. Beides hat Konsequenzen.
- Attraktiver Arbeitgeber: Gute Leute können sich aussuchen, wo sie arbeiten wollen. Die Stadtverwaltung muss spannende Aufgaben und ein interessantes Arbeitsumfeld bieten, um gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. Flache Hierarchien, sinnvolle Tätigkeiten, partnerschaftliche Führung, vielfältige Lebens- und Berufsmodelle (und weitere) sind Erwartungen, die die Stadt erfüllen muss, um gute Leute anzuziehen. Nur so kann es gelingen, auch gute Stadtplaner, Architekten, Bauingenieure, Soziologen, Kulturwissenschaftler, Umweltexperten, Gesundheitsexperten (?) etc. anzuziehen. Denn auch die brauchen wir neben guten Verwaltungsfachleuten um die aktuellen und zukünftigen Probleme lösen zu können.
- Eigenes Knowhow aufbauen: In der Vergangenheit wurde für viele Aufgaben externe Expertise eingeholt. Das kostet viel Geld und nach Abschluss Projektes ist das Knowhow mit dem Beratungsunternehmen weiter gezogen. Nicht sehr nachhaltig. In vielen Feldern wie Stadtplanung, Klimaschutz, Sozial-Ökologie, Bürgerbeteiligung, Technologie etc. ist es hilfreich, dafür eigenes, kompetentes Personal „im Haus“ zu haben. Bei andauernden Aufgaben („Stadtplanung“ muss immer mitgedacht werden…) oder auch zur Auswahl, Anleitung, Kontrolle und Begleitung externer Knowhowträger ist es schlichtweg erforderlich, ein Mindestmaß an eigener Kompetenz vorzuhalten.
- Mehr Experimente und Fehlerkultur: Es ist notwendig, bekannte Pfade zu verlassen und Neues auszuprobieren. Dazu bedarf es der Bereitschaft, Dinge auszuprobieren, Fehler zu machen, der Fähigkeit, aus den Fehlern zu lernen und die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Auch das Parlament muss mitziehen und das zulassen.
- Unternehmenskultur: Eine der wichtigsten Aufgaben wird darin bestehen, eine Firmenkultur zu etablieren, die robust auf disruptive Veränderungen reagieren kann. Dazu gehört auch alle Maximen über Bord werfen zu können und den veränderten Umweltbedingungen mit neuen Ideen zu begegnen.
3 Kernelemente
Neben dieser Liste an Themen und Aspekten sind es vor allem drei Kernelemente, mit denen man sich jeweils auch strategisch intensiv befassen muss:
- Personal
- „Kundinnen und Kunden“
- IT-Systeme
Für alle drei Bereiche sollten eigene Strategien entwickelt werden.
Personal
Zum Thema Personal wurde oben bereits das eine oder andere ausgeführt. Zentral wird sein, mit welchen Strategien es gelingt, die notwendige Vielfalt im Personal der Stadtverwaltung herzustellen. Öffentliche Verwaltungen sind nicht gerade für ihre hohen Gehälter bekannt, also muss man mit anderen Aspekten punkten, um Menschen anzuziehen.
Attraktive Arbeitsbedingungen und Räumlichkeiten, interessante und herausfordernde Aufgabenstellungen, die Übernahme von Verantwortung in einem aufregenden Prozess können solche Elemente sein. Mit dieser Frage muss man sich aber sicherlich noch mal ausführlich befassen.
„Kundinnen und Kunden“
Mit „Kundinnen und Kunden“ sind natürlich Bürgerinnen und Bürger gemeint, aber der begriff „Bürger“ ist noch mal weiter gefasst. Für Unternehmen ist es wichtig, genau zu verstehen, wie ihre Kunden ticken, welche Bedürfnisse sie haben, wie sie denken etc. Je besser Unternehmen ihre Kunden verstehen, umso besser gelingt es ihnen attraktive Angebote zu machen. In Unternehmen ist es Aufgabe des Marketings, sich dieses Verständnis anzueignen und im Unternehmen zu vertreten und zu verbreiten.
Diese Denkweise müssen wir auf die Stadtverwaltung übertragen. Auch hier braucht es einen Bereich „Marketing“, der die Aufgabe des „Kundenverstehers“ übernimmt und die Perspektive der Kundinnen und Kunden im Unternehmen in unserem Fall also der Bürgerinnen und Bürger verbreitet.
Dazu muss man verstehen wie sich das Denken, die Anforderungen und die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger verändert haben. Dies gilt es zu erheben und über das „Bauchgefühl“ hinaus, vertieftes, fachliches und datengetriebenes Wissen darüber zu erlangen. Dieses Wissen kann dann dort eingebracht werden, wo es notwendig ist: Bei den Überlegungen, wie man die Innenstadt attraktiv machen kann, bei der Planung von Parks, von Veranstaltungen, von Bürgerservices etc. So kann gewährleistet werden, dass dies nicht an denBedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger vorbei geht.
IT-Systeme
In Zeiten von Digitalisierung spielt die IT natürlicherweise eine bedeutende Rolle als Unterstützungsfunktion für die gesamte Stadt. Wegen dieser Bedeutung ist es wichtig, hier auch eigene Fachkompenz im Haus zu haben. Unabhängig von der Frage, ob man die eigentlichen Aufgaben nach außen vergeben will oder selbst macht, muss die strategische Kompetenz um die Arbeiten zumindest fachgerecht begleiten zu können, in der eigenen Verwaltung verankert seit. Eine eigene Fachkompetenz in diesem Bereich ist unerlässlich um nicht abhängig von Anbietern zu werden.
Folgende Aspekte sind dabei u.a. von Bedeutung :
- Leistungsfähige IT-Infrastruktur als Basis
- Skalierbarkeit (z.B. um bei der nächsten Pandemie auf Knopfdruck den Viernheimer Schulen die notwendige Home-Schooling-Infrastruktur anbieten zu können)
- Einfache Erweiterbarkeit (Rechenleistung, Speicherplatz, Netzwerk) der Infrastruktur für neue Dienste und zukünftige Anforderungen
- Datensicherheit, Cybersicherheit und Datenschutz
- Mobiles Arbeiten ermöglichen (Egal von wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten, sie können auf die selben Anwendungen zugreifen, wie an ihrem Arbeitsplatz im Rathaus und sind überall auch telefonisch über ihre Durchwahl erreichbar.)
- Es können kurzfristig neue Anwendungen ausprobiert werden, z.B. für neue Formen der Bürgerbeteiligung, neue Fachanwendungen o.ä.
- Unterstützungsfunktion um weitere interne Prozesse zu digitalisieren und vor allem zu automatisieren.
Fazit
Als eine Art Fazit kann man festhalten, dass es sicherlich jede Menge zu tun gibt. Dazu wird man die Situation der Stadtverwaltung gründlich analysieren üssen, um die einzelnen Handlungsbedarfe festzustellen. Eine realistische und kritische Selbstsicht ist notwendig für die weiteren Schritte.
Eine weitere Konkretisierung aus meiner aktuellen Sicht als Außenstehender ist schwerlich möglich. Es fehlt mir die Binnensicht auf die Stadtverwaltung. Dafür kenne ich andere Verwaltungen und Unternehmen und kenne mögliche Schwachpunkte. Wenn ich mir anschaue, was schon in den kleinen Begegnungen, die ich selbst hatte oder die mir zugetragen wurden, für Potenzial für Verbesserungen liegt, dürfte es noch einiges zu tun geben. Dies müsste man aber erst einmal fundiert analysieren – am besten mit Eigenmitteln der Stadtverwaltung, weil genau dieses Knowhow wird die Verwaltung auch in Zukunft noch brauchen. Ggf. muss man sich dieses Knowhow durch Lernen aneignen.
Im ersten Coronalockdown wurde zwar per Presse mitgeteilt, dass der Wechsel ins Homeoffice problemlos möglich war, doch ist es sicherlich interessant, das genauer zu betrachten. Nach eigenen Erlebnisse mit ANDEREN Verwaltungen zu dieser Zeit waren dort Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenfalls im Homeoffice. Allerdings waren sie dort nicht telefonisch erreichbar (nur per Rückruf) und Anliegen konnten nicht beantwortet werden, da sie keinen Zugriff auf ihre Akten hatten…
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