Fahrradstadt

Wie fahrradfreundlich ist die Fahrradstadt Viernheim?

26. April 2023 Article Leserbrief

Viernheim nennt sich selbstbewusst seit einigen Monaten Fahrradstadt. Und seitdem gab es schon mehrfach deutliche und konkrete Kritik, dass es mit Fahrradstadt noch nicht so wirklich weit her ist. Der ADFC, der Allgemeine Deutsch Fahrradclub, hat deutschlandweit 245.000 Radfahrende befragt und jüngst die Ergebnisse des Fahrradklima-Tests für 2022 veröffentlicht. Viernheim erhält hier die Note 3,76 auf der Schulnotenskala von 1 bis 6. Sieht nicht so wirklich nach Fahrradstadt aus, oder?

In der Kategorie Städte zwischen 20 und 50.000 Einwohner siegte übrigens die Autostadt Baunatal als fahrradfreundlichste Stadt mit der Note 2,5. Offenbar versteht es Baunatal, den 17.000 Beschäftigten des dortigen VW-Werks sowie den Bürgerinnen und Bürgern ein attraktives Angebot zu machen.

Die positivsten Bewertungen erhielten in Viernheim die Kategorien „Erreichbarkeit des Stadtzentrums“, „zügiges Radfahren“ und „Radfahren durch Jung und Alt“. Die negativsten Bewertungen erhielten die Kategorie „Fahrraddiebstahl“, Falschparkerkontrolle auf Radwegen“ und „öffentliche Fahrräder / Fahrradverleih“. Mit der Bewertung landete Viernheim auf Rangplatz 119.

Auffällig sind die Bewertung des Zustands der Radwege, was Oberfläche, Reinigung, Winterdienst, Breite und ähnliches angeht, als Zweites dann der Aspekt des Miteinanders im Straßenverkehr sowie die Sicherheit mit der Angst um das abgestellte Fahrrad. Jetzt wäre es ein leichtes, das der „Gesellschaft“, den bösen Autofahrern und dem „Es wird alles schlimmer“ zuzuschreiben. Aber der Vergleich mit anderen Städten zeigt, dass es anderswo eben durchaus besser ist. Die Frage ist, was macht man dort anders?

Einen guten ersten Hinweis geben dazu die 27 abgefragten Kriterien. Hier kann man ansetzen. Zum anderen lohnt aber auch der Blick in „richtige“ Fahrradstädte wie solche in den Niederlanden, in Dänemark oder anderswo und darauf, was dort getan wird. Und zu guter Letzt ist es sicherlich auch eine Frage der Kultur und inwieweit das Fahrrad als Verkehrsmittel und als Teil der Lösung für die Verkehrswende von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen wird. Anfangen sollte man in Viernheim damit, die Radwege konsequent sauber zu halten, sich stärker um die Sicherheit zu kümmern und die anderen Kritikpunkte genau anzuschauen.

Spannend wird es bei der Frage, wie man das Fahrradfahren für viel mehr Leute selbstverständlicher machen kann. Interessant sollte sein, für welche Wege bisher das Fahrrad für viele NICHT in Betracht kommt. Mit fällt dabei der Weg zur Arbeit ein, der für rund 10.000 Bürgerinnen und Bürger Viernheims aus Viernheim herausführt. Wie kommen die zur Arbeit? Wie kann man denen das Rad oder Alternativen zum Auto schmackhafter machen? Oder wie kann man noch mehr Leute in der Freizeit aufs Rad bringen?

Ich weiß nicht, wie gründlich diese Dinge in Viernheim bereits analysiert wurden und welche Probleme und Lösungen man hier tatsächlich auf dem Schirm hat. Den Ergebnissen nach zu urteilen, hat man hier noch zu tun.

Viernheim macht ja einiges, aber für mich sieht das eher nach Herumprobieren aus: ein bisschen rote Farbe hier, eine Fahrradstraße dort (egal ob die von Radlern benutzt wird oder nicht), ein neuer Fahrradschnellweg irgendwohin, ein paar abschließbare Fahrradgaragen, die man mieten kann. Einzeln betrachtet alles gute Punkte. Offenbar bewerten die Leute das Gesamte aber kritisch. Ich würde mir ein übergreifendes und mit anderen Themen verzahntes Konzept wünschen. Sicherheit und öffentliche Ordnung, der Nutzen des vorhandenen ÖPNV und andere Dinge spielen hier maßgeblich mit hinein. Am besten erarbeitet von Experten, gemeinsam mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern!

Und bitte: Vorsicht mit vorschnell selbst verliehenen Titeln. Das weckt Erwartungen, die zwangsläufig enttäuscht werden müssen. Fahrradstadt kann man werden, wenn man genug richtig macht. Sich einfach zur Fahrradstadt zu erklären, mag das abkürzen. Letztendlich zählt aber die Bewertung der Bürgerinnen und Bürger. Und die sagt, es ist nur „ausreichend“.

Quellen: