Von Bildungschancen…
Bildung ist ein wichtiges Thema und wird daher auch in Wahlkampfzeiten gerne diskutiert. Für mich ist es ebenfalls ein besonderes Thema – schon mein ganzes Berufsleben lang. Ich habe mich im Studium intensiv mit Bildung beschäftigt, zunächst mit der klassischen Bildung in Schule, Ausbildung/Studium und Erwachsenenbildung und die letzten Jahrzehnte eher mit der Möglichkeiten sogenannte informeller Bildung. Also das was man so lernt, ohne dazu eine Bildungsinstitution wie eine Schule zu besuchen.
Informelles Lernen
Und hier wird es besonders spannend, denn das meiste, was der Mensch in seinem Leben so lernt, lernt er außerhalb der klassischen Bildungseinrichtungen. Und darauf kann man in gewisser Weise Einfluss nehmen, in dem man Möglichkeiten und Gelegenheiten schafft, in denen eben Lernen stattfindet. Zum Beispiel in Unternehmen, wo man anhand von konkreten Aufgaben sich selbst etwas aneignet.
Ein spannendes Thema also, welches auch für die Entwicklung einer Stadt eine Rolle spielt. Denn auch hier wird unentwegt gelernt. Zum Beispiel, wenn sich Bürgerinnen und Bürger zusammen tun und Vorschläge zur Lösung von konkreten Problemen erarbeiten. Oder, wenn sich jemand mit bestimmten Zusammenhängen beschäftigt, um in einem Leserbrief aufzuzeigen, dass es bessere Lösungen als die kritisierte gibt.
Dieses Lernen kann man fördern, wenn man einerseits Gelegenheiten schafft, in dem sich Menschen intensiv mit Themen befassen und zum anderen, in dem man auf gute Lerngelegenheiten verweist, die jedermann zur Verfügung stehen würden, wenn sie denn wüssten, wo und wonach man überhaupt suchen muss.
In der Schule fängts an
In der Schule fängt das für viele bereits an. Zum Beispiel für Kinder, die Mathe nicht verstehen, die aber trotzdem an der Klassenarbeit teilnehmen müssen. Offenbar ist es so, dass viele Mathelehrer nicht in der Lage sind, den Kindern Mathematik so zu erklären, dass diese das jeweilige Thema wirklich verstehen. Was macht man nun als Schüler mit diesem Problem? Man schaut auf Youtube (oder anderswo im Netz) und lässt sich das Thema dort erklären.
Zum Beispiel den Dreisatz. Dort kann man sich den Dreisatz zum Beispiel vom SimpleClub erklären lassen. Oder das Bruchrechnen vom DorFuchs vorsingen lassen. Es gibt unzählige Anbieter, die mit unterschiedlichen Methoden offenbar etwas richtig machen. Das Video vom SimpleClub wurde bereits 650.000 mal abgerufen, der Rap zum Bruchrechnen 1,8 Millionen mal. Die „Erklärer“ machen das inzwischen oft hauptberuflich und verdienen damit ihren Lebensunterhalt.
Lernplattformen wie Khan’s Academy bieten eine ganze Palette an Themen an, gerade auch für Schüler. Hier kann man einen Einblick bekommen, wie Online-Lernen heute gehen könnte.
Khan’s Academy hat übrigens eine recht interessante Geschichte. Salman „Sal“ Khan, der Gründer der Organisation, begann Ende 2004 seiner Cousine Nadia Nachhilfe in Mathematik zu geben – und zwar als Video, denn er wohnte weit entfernt von seiner Cousine. Die Videos und Tutorials stellte er bei Youtube ein und erreicht damit viele weitere Menschen. 2009 kündigte er seinen Job als Hedgefonds-Analyst und konzentrierte sich voll auf Khan Academy. Diese wurde und wird von großzügigen Spendern wie Google oder der Bill & Melinda Gates-Stiftung sowie vielen anderen mit Millionenbeträgen unterstützt und bietet weltweit ein kostenfreies Lernen an.
Online studieren?
Über alle Bildungsstufen hinweg gibt es ein entsprechendes Angebot. So auch für Studierende. Jetzt ist in Coronazeiten das Onlinestudium ja auch hier weit verbreitet. International gesucht, finden sich aber viel interessantere Dozenten, spannendere Themen und vor allem oftmals weniger bräsige Vorträge. Da sind andere Länder einfach weiter als wir in Deutschland. Oftmals lassen sich sogar Bescheinigungen ausstellen, mit denen man dann prüfen kann, ob sie in deutschen Studiengängen anerkannt werden.
Ein guter Ausgangspunkt für die Suche sind beispielsweise die Plattformen edX.org, coursera, Future Learn oder auch das in Deutschland ansässige Hasso Plattner Institut mit seiner Plattform Open HPI, insbesondere zu Informatik-Themen. Oder ohne Schulbesuch Programmieren lernen? Geht im Free Code Camp und kostet gar nichts. Auch manche Firmen bieten Online-Lernplattformen an wie zum Beispiel SAP mit ihrer Plattform Open SAP. Viele der hier genannten Angebote sind vom Prinzip her kostenfrei, es sei denn, man möchte eine Prüfung ablegen oder ein Zertifkat erhalten.
Wolfsburg 42
Oder gänzlich neue Formen des Lernens, wie beispielsweise bereits in meinem Beitrag zu Wolfsburg 42 beschrieben. Wolfsburg 42 ist der Ableger einer Lerneinrichtung, die eine Ausbildung zusammengestellt hat, die ohne Lehrer auskommt. Es werden nur Aufgaben gestellt, die in Lerngruppen gelöst werden müssen. Das Wissen dazu müssen sich die Lernenden selbst zusammen suchen, um damit die Lernaufgabe zu lösen. Die Lernaufgaben bauen aufeinander auf und werden immer schwieriger.
In Wolfsburg fängt die Einrichtung gerade erst richtig an zu laufen. In anderen Städten der Welt ist das Modell bereits erprobt. In Wolfsburg ist Volkswagen der Sponsor und stellt Geld für Gebäude, Betreuung und verschiedenes mehr zur Verfügung. VW macht das durchaus aus Eigennutz und erhofft sich fähige Absolventen, die dann nach der Ausbildung bei VW an der Software für selbstfahrende Autos arbeiten. Also das Niveau ist hoch, obwohl es sich nicht um eine Hochschule mit Abschluss handelt.
CS50
Kennen Sie CS50? Vermutlich nicht. CS50 ist der beliebteste Kurs der Harvard-University und gleichzeitig der Einführungskurs in die Informatik. Der Kurs umfasst Algorithmen, Datenstrukturen, Ressourcenmnagement, Sicherheit, Software Engineering und Web-Entwicklung. Mehr als 2 Millionen Studenten haben diesen Kurs inzwischen absolviert, es ist der größte Harvard-Kurs und einer der beliebtesten MOOCs aller Zeiten (MOOC = Massive Open Online Course). Der Kurs gilt für viele als der erste Schritt zur Beschäftigungsfähigkeit und sogar ein Schritt in Richtung einer Karriere im Silicon Valley. Der Kurs ist kostenlos!
Was macht den Kurs so attraktiv und berühmt? Der Ruhm von CS50 geht auf den Harvard-Professor David Malan zurück, der einen einzigartigen Lehrstil hat. Malan ist insofern „Kult“. Schauen Sie mal rein!
Das Beispiel zeigt, dass Bildung durchaus auch Spaß machen kann bzw. in der heutigen Zeit Spaß machen MUSS!
Chancen für Viernheim
In dem riesigen weltweiten Angebot (Ich glaube, ich habe inzwischen über 200 solcher kostenfreier Lernplattformen gesammelt (Auswahl hier)), finden sich auch Themen wie Stadtplanung, Stadtentwicklung und vielem mehr. Schauen Sie doch mal auf edX zum Suchbegriff „Future Cities“. Da gibt es einiges an Angebot. (Die Angebote sind meistens auf Englisch, denn mit Englisch erreicht man weltweit mehr Menschen, als mit Deutsch…)
Wir könnten für Viernheim aus dem vielfältigen Angebot Bildungsgänge/Studiengänge konzipieren, um damit Bürgerinnen und Bürger, Politikerinnen und Politiker als auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung fortzubilden. Parallel zum „Studium“ könnten wir Themen aus Viernheim gemeinsam diskutieren und anhand des Gelernten analysieren und vielleicht sogar lösen.
Auch das ist Bildung
Auch das ist Bildung und eben Bildung weitergedacht. Ja, wir müssen auch die klassischen Bildungsinstitutionen wie Kindergärten und Schulen im Blick haben. Aber schon in Schulen ist unser Einfluss als Kommune gering. Die Chancen des Internets sind, hier mit geringem Kostenaufwand weitere Bildungsstrukturen aufzubauen, die die traditionellen Institutionen unterstützen oder auch erweitern durch neue Inhalte.
Denn auch das ist ein Thema für Viernheim. Ob wir Kindern und Jugendlichen gute berufliche Perspektiven verschaffen wollen oder auch einfach nur die Lernbegierde stillen, es gibt ein Leben neben der klassischen Bildung! Daher sollten wir schauen, wie wir die „neuen“ Möglichkeiten für uns lokal und kommunal nutzen und einsetzen können.
Hinzu kommt, dass wir uns auf kommunaler Ebene mit neuen Lernformen auseinandersetzen müssen. Lernen muss Spaß machen, kurzweilig sein und gleichzeitig effektiv. Um mit den Herausforderungen der Zukunft umgehen zu können, müssen wir lernfähig sein, wir müssen in der Lage sein, uns neue Themen innerhalb unserer eigenen Fachdisziplin oder auch darüber hinaus, anzueignen. Und genau das sollte das Lernthema für alle sein: Lernen lernen! Das ist nicht neu, aber heute wichtige denn je. Und als Kommune, die über Zukunft nachdenkt, sollten wir uns intensiv mit der Thematik beschäftigen, denn sie hilft uns allen voranzukommen – individuell und als Stadtgesellschaft.
Und vielleicht sollten wir im neuen Rathaus ja mal zur Vorsicht einen Raum einplanen, den wir ggf. auch für Lernevents wie CS50 nutzen können. Oder für Ted Talks? Aber das führt vielleicht jetzt zu weit…
Abschließend noch ein kleiner Ausflug, der im Zusammenhang steht, aber vielleicht ein klein wenig off-topic ist…
Kleiner Ausflug: Omni-Academy
Auf internationaler Ebene versucht das mein eigenes „kleines“ Sozialprojekt Omni-Academy. Die Idee dahinter ist, Menschen auf der ganzen Welt die Lern-Möglichkeiten im Internet zu zeigen, ggf. Lern-Spaces mit Computern und Internet an Orten zu schaffen, wo der Bedarf hoch ist. In einer späteren Entwicklungsstufe können sogar eigene Ausbildungsgänge angeboten werden – aufbauend auf vorhandenen Angeboten und weiteren, noch zu schaffenden. Das Internet und die Technik machen es möglich, ein solches Projekt heute für die ganze Welt aufzusetzen und das zu niedrigsten Kosten.
Mit Hilfe der Technologie wird Bildung skalierbar. Man braucht nicht mehr für jeden weitere Gruppe von 50 Schülern einen weiteren Lehrer, sondern die Zahl der Schüler pro Lernangebot ist im Grunde unbegrenzt. Man braucht nur einen Computer und Internet.
Nachsatz
Das Beispiel Omni-Academy zeigt im Übrigen auch, dass es heute ganz neue Formen des ehrenamtlichen Engagments gibt, die nicht zwingend in der traditionellen Form „Verein“ stattfinden muss. Heute können sich zu jedem Thema weltweit Menschen zusammen tun und über die Technik vermittelt, gemeinsam Projekte durchführen. Von diesen Beispielen sollten wir für die Stadt lernen und schauen, wie wir davon profitieren können.
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