„Verne vorne“ und der Strompreis
Offener Brief an Herrn Dr. Franke, Stadtwerke
Auf meinen Leserbrief von vor ein paar Tagen (siehe hier) hat Herr Franke, Vorstand der Stadtwerke im Tageblatt reagiert. Das Tageblatt hat dazu meinen Leserbrief einen Tag zurückgehalten und die Stadtwerke um Stellungnahme gebeten. Schöne Aktion und so werden für die Leserinnen und Leser die Zusammenhänge vielleicht noch besser deutlich. Leider bestand die Reaktion – sagen wir es vorsichtig – eher aus Allgemeinplätzen und war wenig geeignet, um Vertrauen bei den Kunden und Kundinnen der Stadtwerke zurückzugewinnen. Daher habe ich darauf erneut reagiert und am 5.10.2022 einen offenen Brief an Herrn Dr. Franke geschrieben.
Sehr geehrter Herr Dr. Franke,
es freut mich, dass Sie so kurzfristig auf meinen Leserbrief vom 5.10.2022 reagiert haben und es freut mich noch mehr, dass das Viernheimer Tageblatt meinen Leserbrief mit einer direkten Reaktion durch Sie verbunden hat. So können die Viernheimerinnen und Viernheimer die Dinge mehr und mehr im Zusammenhang lesen. Vielen Dank an Sie und das VT dazu!
Ansonsten bin ich allerdings über Ihre Antwort eher enttäuscht, denn es ist nur das Aufzählen allgemeine Positionen. Wie vor einigen Tagen geschrieben, im Versorgungsgebiet der Pfalzwerke oder auch „Woinemer Strom“ sind die Preise bisher deutlich besser als in Viernheim. Wir werden sehen
Ich habe mir von einer Reaktion von Ihnen deutlich mehr erhofft. Ja, die Preise sind auch bei anderen Anbietern hoch. Ja, die Zeiten sind schwierig. Ja, manche Kosten wie Netzentgelte, Abgaben, Umlagen und Steuern sind lokal nicht beeinflussbar. Aber wo sehen Sie denn Einflussmöglichkeiten? Wie sind denn die Perspektiven? Wozu braucht Viernheim ein eigenes Stadtwerk?
Mir ist schmerzlich bewusst: Wir werden kurzfristig als Ihre Kunden mit der Situation leben und eben tief in die Tasche greifen müssen. Das Kind ist in den Brunnen gefallen! Aber mit dieser Krise kommen eben auch die Probleme ans Tageslicht. Aus diesen gilt es jetzt zu lernen und die Konsequenzen zu ziehen. Denn es sind dieselben Probleme, die dafür verantwortlich sind, dass wir bei Energiewende und Klimawandel bisher so wenig erreicht haben.
Sie schreiben, dass sich die Stadtwerke seit Jahren im Ausbau regenerativer Energien engagieren. Gleichwohl sind wir im Vergleich zu den anderen südhessischen Städten auf dem letzten Platz was das Thema PV angeht. Da haben sich die anderen offenbar mehr engagiert. Ja, die Stadtwerke sind an diversen Windparks beteiligt und manchmal hört man das Argument, dass die wenige PV plus die Windparks ja schon rund 40 Prozent des Gesamtstromverbrauchs Viernheims ausmachen. Rechnerisch. Nur unserem Strompreis nützt das nichts. Die Windparks sind für Viernheim nur Investments, die jetzt die sogenannten „Übergewinne“ abwerfen, von denen auf Bundesebene die Rede ist. Die Bürgerinnen und Bürger haben nichts davon (, es sei denn Sie wollen die Übergewinne aus der Windkraft am Jahresende an Ihre Kunden ausschütten?) Wie wäre es mit einem Plan und ggf. mehr Eigenversorgung, die uns vor äußeren Einflüssen besser schützen?
Sie verweisen auf den Gaspreis. Da lohnt der Blick auf den entsprechenden Börsenchart. Der Erdgaspreis schwankte vor der Krise zwischen 2 und 5 Dollar pro Einheit. Mit der Krise ist er auf knapp 10 Dollar angesprungen. Heute liegt er bei unter 7 Dollar. Der Preis für den Rohstoff Gas an der Börse ist heute zwar höher als in normalen Zeiten, aber eben nicht mehr ganz oben.
Aber wir bezahlen bei Ihnen ja nicht nur für den Rohstoff Gas. Ich schätze, dass der Anteil für den Rohstoff Gas am Preis, den wir als Kunden vor dem Krieg bezahlt haben, deutlich unter 30 Prozent betrug. Der Rest war für Netze, für Stadtwerkemitarbeiter, für Vertrieb, für den Dienstwagen des Chefs, für Gewinne. Steigen sollten also erst mal nur ein Teil der Kosten. Trotzdem verdoppelt sich für uns Kundinnen und Kunden der Preis für Gas und Strom, obwohl sich der Rohstoffkosten wieder etwas beruhigt und vor allem lange nicht verdoppelt haben.
Mit den Stromrechnungen zum Jahresbeginn erklären Sie uns, dass wir 45 Prozent Strom aus regenerativen Quellen beziehen und nur rund 40 Prozent aus Kohle und Gas. Und aus der Erhöhung der Preise für diesen Anteil für Kohle und Gas leiten Sie die Erhöhung des Strompreises ab. Das „weg von fossilen Energien“ hat wohl nicht geklappt, wenn dieser hohe Zuschlag jetzt notwendig ist?
Mir ist sehr bewusst, dass das Ganze weitaus komplexer ist, als ich es hier darstelle und ich lerne selbst täglich enorm dazu. Aber die Dinge passen eben nicht zusammen, die Bürgerinnen und Bürger stellen sich hierzu Fragen und die Verantwortlichen erklären dazu viel zu wenig. Das kostet Vertrauen.
In Ihrer Reaktion schreiben Sie, dass wir im kommenden Frühjahr wissen werden, ob wir die geplanten Energieeinsparungen hinbekommen haben. Sie sind die Person, die es heute schon wissen könnte! Bei der Stadt gibt es viel Personal, welches an Dingen rund ums Energiesparen arbeitet. Wenn wir die Energieverbräuche von August und September mit denen der Vorjahre vergleichen, wissen wir heute schon, ob wir die Einsparungen hinbekommen oder nicht. Wenn nicht, könnten wir wenigstens umsteuern.
Es muss doch mehr möglich sein, als sich darauf zurück zu ziehen, dass man leider gar nichts machen kann. Andere Städte propagieren und bezuschussen Balkonstromanlagen, bauen viel mehr PV auf Dächer, Parkplätze, Straßen und Ackerflächen, befassen sich intensiv mit Alternativen wie Wind, Biogas, Geothermie, dem Ausbau von Fernwärmenetzen, bauen „kalte Nahwärmenetze“ in neue Wohngebiete und vieles mehr. Viernheim wartet ab und zuckt mit den Schultern.
Ich wünsche mir, dass die Stadtwerke daran arbeiten, die Eigenproduktion regenerativer Energien zu erhöhen. Und zwar so, dass wir den Strom hier lokal produzieren und verbrauchen. Das sollte mit mehr PV gehen, mit Windkraft, eventuell mit Geothermie, vielleicht mit Biogas und sicher auch weiterhin (weniger regenerativ) mit Gas und Öl. Es muss ja nicht das russische Gas sein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das geht und wünsche mir, dass die Viernheimer Stadtwerke bei den ersten sein werden, die hier Ideen entwickeln und umsetzen. Das wäre meine Erwartung an die Stadtwerke und natürlich die Politik als Aufsicht. Aus diesem Grund brauchen wir überhaupt ein Stadtwerk in kommunaler Hand! Dann können wir selbst tätig werden. Nur müssten wir dann halt genau das auch tun.
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