Verfall der Sitten
Unterhält man sich in Viernheim mit Nachbarn, Freunden oder auch Kommunalpolitikern sagen viele, dass in Viernheim, aber auch in der Gesellschaft insgesamt ein Kultur- und Sittenverfall stattfand und stattfindet. Es wird immer schlimmer!
Warum machen die Hundebesitzer die Hinterlassenschaften ihrer Vierbeiner nicht weg? Warum wird man an bestimmten Stellen im Stadtgebiet angepöbelt? Warum liegt überall Dreck? Warum müssen die Autofahrer überall so schnell fahren? Warum sind die Autofahrer so rücksichtslos? Warum die Radfahrer? Wer leert seinen Müll einfach in den Wald? Warum ist der Tivolipark zu ungepflegt? Warum ist das neue helle Pflaster in der Innenstadt so von dunklen Kaugummiflecken übersäht? Warum muss man sich in Viernheim zunehmen unsicher fühlen?
Fragen, die berechtigt sind. Und Fragen, auf die Antworten fehlen. Bzw. die Antworten, die gegeben werden und die Lösungen, die man seit Jahren dafür hat, funktionieren offenbar nicht. Sonst müsste man die Fragen ja nicht stellen.
Mehr Kontrolle?
Schnell wird die Lösung „Wir brauchen mehr Kontrolle“ vorgeschlagen und die Politik freut sich, denn hier hat sie einen einfachen Ansatzpunkt. Geld für zusätzliches Personal im freiwilligen Polizeidienst ist schnell aufgetrieben. Der Erste Stadtrat – egal ob Kempf oder Bolze – freuen sich auf ein Bild in der Zeitung mit neuen Blitzern. Man tut schließlich was!
Auch in der Bevölkerung kommt schnell die Forderung nach noch mehr Blitzern und noch mehr Kontrolle. Die Instrumente sind akzeptiert. Die Hoffnungen groß.
Nur wenig Nutzen
Das Problem dabei ist, die Instrumente sind einfach umzusetzen – die große Wirkung bleibt aber aus. Es nützt nichts. Es bessert sich nicht!
Die Schilder rund um die Schulen wegen dem Hundekot hängen nun schon seit Jahren, die Blitzer werden immer mehr, ebenso das Personal im freiwilligen Polizeidienst. In der Vergangenheit gab es gefühlt jedes Jahr mindestens zwei zusätzliche Stellen in diesem Bereich. Natürlich mit entsprechendem Foto vom zuständigen Dezernent und neuen Mitarbeiterinnen in der Zeitung. Theoretisch müsste es besser werden, denn wir haben ja was getan. Wird es aber nicht.
Man freut sich über die Einnahmen aus den Bußgeldern – ich habe eine Zahl von 800.000 Euro im Kopf, mit der die Stadt im Haushalt rechnet. Vielleicht ist es auch mehr.
Das Problem ist: es ändert nichts. Noch nicht mal die Einnahmen für den Haushalt, denn den Einnahmen stehen ja auch Kosten gegenüber. Für Personal, Blitzer und Bearbeitung.
Und trotzdem nimmt das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger ab. Und das Gefühl, dass alles immer schlimmer wird, nimmt zu. Ob man hier die falschen Konzepte verfolgt? Ob ein mehr an Kontrolle vielleicht ganz anders wirkt?
In Viernheim, aber auch generell in der Gesellschaft, nimmt die sogenannte „Verrechtlichung“ des Miteinanders zu. Man spricht nicht mehr miteinander, sondern schaut zuerst mal ins Gesetz. „Darf der Nachbar vor seinem Hoftor parken?“ Wenn er das tut, komme ich in meine Einfahrt nicht mehr rein. Ich könnte mir ihm sprechen und vielleicht können wir uns einigen? Der einfacherere Weg ist ein Anruf im Ordnungsamt und die Frage nach der rechtlichen Regelung. Darf der das? Dann schick ich dem das Ordnungsamt.
Ich selbst habe mich bislang eher oberflächlich mit dem Thema befasst, aber es gibt relevante Hinweise aus der Wissenschaft, dass ein mehr an Kontrolle ab einem bestimmten Zeitpunkt eher kontraproduktiv ist. Wir müssen eine andere Lösung finden, wenn wir das Problem wirklich lösen wollen.
Welche weiteren Lösungen haben Stadt und Politik hier bisher parat? Welche Ideen verfolgen sie dazu? Welches Denken führt hier zu dem Glauben, dass noch mehr Kontrolle das Problem irgendwann tatsächlich löst? Wie viel „mehr Kontrolle“ brauchen wir denn, bis es vielleicht doch wirkt?
Glaubt denn irgendwer tatsächlich, dass ein Autofahrer, der mit erhöhter Geschwindigkeit wegen des zugehörigen Knöllchens derart geläutert wird, dass er in Zukunft schamerfüllt ob seines schändlichen Tuns nun immer rücksichtsvoll und gesetzeskonform unterwegs ist? Wer das glaubt, ist schon ein bisschen naiv, oder?
Die Erkenntnis
Der Kultur- und Sittenverfall ist ein großes gesellschaftliches Problem. Nicht nur in Viernheim sondern überall in der Gesellschaft. Trotzdem gibt es „Inseln der Glückseligkeit“, in denen es anders ist. In Dörfern, Städten, in Unternehmen, in Stadtteilen, manchmal auch in ganzen Ländern.
Die bisherigen Lösungen haben nicht zum Erfolg geführt und insofern MÜSSEN wir darüber nachdenken, was andere Lösungswege sein können. Wir müssen uns damit befassen, wie Gesellschaft funktioniert, wie das Zusammenleben funktioniert, wie sich Kultur entwickelt. In die gute Richtung oder auch in die schlechte. Wenn wir das verstanden haben, können wir nach Lösungen suchen und diese ausprobieren.
Neue Konzepte müssen her
Das Problem ist, dass dieses Denken in Viernheim weder in der Politik noch in der Stadtverwaltung und ihrer Führung ausgeprägt ist. Man verharrt in alten Lösungen und macht mehr desselben. Glauben die eigentlich wirklich, dass es irgendwann funktioniert mit immer denselben Aktionen? Neue Ideen und Konzepte müssen her!
Zugegeben: Ich habe auch noch kein Konzept, sondern nur erste Ideen. Mehr Vermittlung zwischen Streitenden, Streite nicht eskalieren durch Nichtstun der Stadtverwaltung, nicht gleich die rechtlichen Mittel auspacken, Beschränkungen nur dort, wo nötig, etc.
Viele werden sagen, das wird nicht funktionieren. Das mag sein. Aber die Kontrolliererei, die Blitzerei, die vielen Strafzettel haben bislang eben auch keine Verbesserung gebracht. Eher im Gegenteil. Man wird nachdenken müssen, mal schauen, was die Wissenschaft für Ideen gesammelt hat, was andere für Erfahrungen gemacht haben und dann ausprobieren, was bei uns funktionieren könnte.
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