Die Leiter: Neues Verkehrskonzept für die Innenstadt
Der Erste Stadtrat Bolze ludt vor ein paar Jahren die Anwohner und Betroffenen aus einigen Straße in der Innenstadt ein, sich zu einem neuen Verkehrskonzept zu äußern. Die Luisenstraße und ihre Parallelen bis zur Illertstraße sollten in einer Einbahnstraßensystem verwandelt werden, die man jeweils wechselseitig in die eine oder die andere Richtung befahren können sollte. Das nannte er „Leitersystem“
Das Ziel der gesamten Aktion war, die Verkehrssituation als auch die Parkplatzsituation zu verbessern. Das klingt erst mal gut!
Ich selbst wohne in der Ludwigstraße. Die Ludwigstraße ist recht eng mit den parkenden Autos auf beiden Seiten. Man muss langsam fahren und wenn jemand entgegen kommt, muss man in eine Einfahrt ausweichen und sich gegensietig vorbeilassen. Die Verkehrssituation zu verbessern – und das versprach das Einbahstraßensystem – hieß für mich, man kann schneller fahren. Will man das tatsächlich? Überall will man den Autoverkehr verlangsamen und hier das Gegenteil?
Als zweites Ziel sollte die Parkplatzsituation verbessert werden. Das Klang auch gut. Nur wo sollten die zusätzlichen Parkplätze wohl herkommen?
Bürgerversammlung
Herr Bolze ludt also die Anwohner ins Rathaus ein und stellte sein Konzept vor. Dann ging er herum und jeder durfte brav ins Mikrofon sprechen, was er dazu dachte. Herr Bolze fragte dann immer in Richtung der mitgebrachten Mitarbeiter, ob sie das aufgeschrieben hätten. Bolze betonte, dass es ihm und der Stadt darum ginge, die Bürgerinnen und Bürger einzubinden. Sie sollten sich einbringen, ihre Fragen stellen und ihre Wünsche sollten berücksichtigt werden. Das klang gut.
Dann passierte lange nichts, es gab ein paar Leserbriefe zu ein paar Spezialfragen zur konkreten Situation an dieser oder jeder Straßenecke. Dann passierte wieder lange nichts. Der erste Eindruck ging schnell über in Zweifel ob Bolze das mit der Einbindung tatsächlich so meinte. Verhalten hat er sich nicht so und es drangen immer weitere Pläne durch, die mit den Vorschlägen und Anmerkungen der Anwohner so gar nichts zu tun hatten.
Dann gab es einen Vororttermin. Schon im Vorfeld hatte sich die Argumentation etwas geändert – inzwischen waren nicht nur Parksituation und Verkehrsfluss Thema sondern auch die Feuerwehr, die neuerdings Schwierigkeiten haben sollte, in den Stadtteil und vor allem um die Kurven zu kommen. Offenbar ging es Bolze doch eher darum, hier etwas durchzudrücken als um Beteiligung.
Die Diskussion ging ein bisschen hin und ein bisschen her. Die anwesenden Bürger wollten das Konzept nicht, es versprach keinen Mehrwert. Dann schlug Herr Bolze vor, dass man das ja mal ausprobieren könne und nach einem Jahr schauen wir dann, ob es was gebracht hat. Auf meine Frage hin, was wir denn tun, wenn die Bürger sagen, es hätte nichts gebracht, meinte er nur „Dann lassen wir es trotzdem“.
Die Sache ist dann irgendwann eingeschlafen. Nachdem mich ein Stadtverordneter mal gefragt hatte, ob ich wüßte was draus geworden ist, gehe ich davon aus, dass dazu kein Beschluss gefasst wurde und es irgendwann wieder hochpoppen kann.
Über Herrn Bolze als Ersten Stadtrat brauchen wir nicht mehr zu sprechen, er ist abgewählt und ersetzt worden. Für Viernheim dürfte er Geschiche sein.
Nachsatz:
Im Nachgang bin ich auf der Webseite der Stadt fündig geworden und über die sogenannte „Vorhabenliste“ gestolpert. Schaut man hier genauer, findet man das Vorhaben „Einführung eines Einbahnstraßensystems im innenstadtnahen Bereich“. Demnach ist die Umsetzung des Einbahstraßensystems trotz der Einwände der Bürgerinnen und Bürger vom Ausschuss Umwelt, Energie, Bauen (Stadtentwicklung, Agenda 21) verabschiedet und an die Stadtverordentenversammlung zur Entscheidung gegeben.
Es hat also durchaus eine weitere Auseinandersetzung damit gegeben. Diese setzt sich aber über die Ansichten der beteiligten Bürgerinnen und Bürger hinweg. Es hat den Anschein, dass das ursprüngliche Konzept ohne größere Änderungen durch den Ausschuss gekommen ist. Auch einige Formulierungen in der Beschlussvorlage lassen auf die Handschrift des damaligen Ersten Stadtrats und „Law and Order“-Vertreters Bolze schließen. Wer es nachlesen mag, kann dies hier tun.
Aber es ergeben sich eine Menge Fragen aus dieser Situation:
- Wie ist es um das Thema Bürgerbeteiligung in Viernheim bestellt? Immerhin hat weder die Politik noch die anderen Verantwortlichen im Rathaus dem munteren Treiben ein Ende bereitet. In diesem Fall haben es viele eher als Bürger“verarsche“ aufgefasst.
- Die Ziele des Projekts wurden zwar benannt, waren aber für die Bürgerinnen und Bürger nich nachvollziehbar, geschweige denn glaubhaft. Gab es eine „Hidden Agenda“ für diese Aktion?
- Die Aktion ergab sich wohl auf Basis eines Verkehrskonzeptes aus dem Jahr 2010. Wie kann es sein, dass ein so altes Konzept herangezogen wird, wenn doch zu vermuten ist, dass sich Verkehrszahlen und vieles mehr geändert haben? Hat die Zeit für die Verantwortlichen der Stadt stillgestanden? Gibt es weitere Beispiele für Projekte, die aufgrund falscher oder veralteter Datenlagen initiiert werden?
- Wenn die Feuerwehr tatsächlich Schwierigkeiten hat mit ihren großen Fahrzeugen im Stadtteil um die Kurven zu kommen, muss gehandelt werden. Wenn uns die Verantwortlichen die letzten Jahrzehnte dadurch gefährdet haben, dass sie nicht reagiert haben und es angeblich erst eines neuen Verkehrskonzepts bedarf, ist das nicht hinnehmbar!
- Letztendlich wollte Herr Bolze die Anwohner gerne dazu zwingen, ihre Autos auf ihren Grundstücke und ihren Garagen zu parken. Dadurch hätte es mehr Parkraum auf der Straße geben sollen.
- Gleichzeitig wollte er Parkplätze auf der Straße reduzieren. Das hieße, dass dort, wo aktuell zwei Autos vor einem Haus stehen, dann nur noch ein Parkplatz gewesen wäre. Damit wären die Parkmöglichkeiten wieder eingeschränkt worden. Was wäre dadurch gewonnen worden?
Hidden Agenda?
Ich denke, der große Knackpunkt ist die „Hidden Agenda“, also die Ziele des Projektes, über die nicht offen gesprochen wurde. In vielen Städten will man die Autos von der Straße verbannen, um damit Straßenraum frei zu bekommen für andere Verkehrsteilnehmer. Vom Prinzip her ist das durchaus löblich, aber die Frage ist, wie das konkret ausgesehen hätte – zum Beispiel in der engen Ludwigstraße. Es wäre weder für Fahrradfahrer noch für Fußgänger ein wirklicher Gewinn entstanden.
Wo ist der Mehrwert?
Eine Straße mit weniger Autos bringt per se keinen Mehrwert! Ich wurde mal auf das Projekt angesprochen mit den Worten „Du bist ja eher Autofahrer…“. Mir ist ein Mehrwert einer Straße mit weniger Autos und trotzdem keinem Platz für Radfahrer und Fußgänger einfach nicht groß genug, um das Parken für die Anwohner zu erschweren.
Also: Wo wäre der Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger? Ein Fußgängerparadies hätte es nicht gegeben, die Straße wäre für Kinder nicht durch das Konzept zum Spielparadies geworden und auch die Aufenthaltsqualität durch mehr Grün, durch Sitzgelegenheiten oder eine andere Nutzung der „gewonnen“ Fläche, hätte sich nicht verbessert. Was es gegeben hätte, wäre mehr Platz auf einer asphaltierten Fläche, die für nichts gut ist.
Und die Hoffnung, dass die Anwohner reihenweise ihre Autos aufgeben, nur weil das Parken schwieriger geworden ist, dürften ebenfalls nicht aufgehen. Es soll ja so sein, dass das Auto als Verkehrsmittel für den einen oder anderen durchaus noch relevant ist. Zum Beispiel für den Weg zur Arbeit.
Wäre die Vision gewesen, die Straßen autofrei zu bekommen, um sie zu Spielstraßen auszubauen mit vielen Bäumen, Grün, Spielgeräten und Sitzgelegenheiten, hätte ich persönlich mich im Übrigen damit anfreunden können. Das wäre mal eine Vision gewesen mit Mehrwert: Lebenswert, Aufenthaltsqualität, Platz für Kinder zum Spielen, mehr Grün in der Stadt. Aber darum ging es wohl nicht…
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