Ist die Bürgerschaft mehr an Politik interessiert, wenn die Gemeinderatssitzung im Internet gestreamt wird?
Interessante Frage, die Klaus Niebler in einem Post auf Facebook aufwirft und die ich dort gerne kommentiert habe.
Ziel einer Übertragung der Stadtverordnetenversammlung im Internet wäre
, Bürgerinnen und Bürger wieder stärker für lokale Politik zu interessieren, lokale Entscheidungen transparent zu vermitteln, Partizipation zu ermöglichen und Lust auf lokale Demokratie zu machen. Ich teile diese Ziele uneingeschränkt, aber ob da das Streaming der Stadtverordnetenversammlung oder auch von Ausschusssitzungen da abhelfen? Ich bin da skeptisch, denn es fehlt meiner Ansicht nach an ganz anderen Rahmenbedingungen, die für mehr Lust auf lokale Demokratie notwendig sind.Wie endet der Beitrag von Klaus Niebler auf Facebook so schön? Im Ergebnis ist festzuhalten: Die Partizipationskrise ist hausgemacht. Informations- und Teilhabeprozesse werden in den Kommunen nicht dynamisch organisiert.
Hier mein Diskussionsbeitrag:
„In Deinem Ergebnis gebe ich Dir recht! Die Partizipationskrise ist hausgemacht und Informations- und Teilhabeprozesse werden nicht dynamisch organisiert. Ich bin aber ziemlich sicher, dass ein Livestream der Gemeinderatssitzung das nicht auflösen wird. So spannend sind diese Sitzungen nun auch nicht, ganz im Gegenteil: Sie sind über weite Strecken eher dröge.
Das Problem liegt woanders und Du benennst es in Deiner Begründung selbst. Transparenz der Entscheidungen, Informationen vorab, den Zugang zu entsprechenden Daten, sich selbst ein Bild machen können, sich ein bringen können, auch außerhalb der traditionellen Beteiligungsmöglichkeiten in Parteien etc. Viernheim hatte vor vielen Jahren mit der Bürgerbeteiligung zur Schwimmbadsanierung ein herausragendes Beispiel für Beteiligung initiiert. Hier haben sich Bürgerinnen und Bürger mit tiefen Fakten rund um die Möglichkeiten für eine Sanierung befasst. (Stichwort: Keimtötungszeit hinter dem Ausscheider…). Heute ist davon nichts mehr zu spüren. Und es ist auch nichts mehr davon zu spüren, dass der/die Verantwortliche/n ein Interesse an einer solchen Beteiligung haben. Andere Städte richten Bürgerräte ein, wo man als Bürger oder als Bürgerin auch außerhalb von Parteinen Einfluss nehmen kann auf die Geschicke der Stadt.
In Viernheim gibt es keine oder kaum frei zugänglichen Daten zu wichtigen Themen, der/die Verantwortliche/n der Stadt arbeiten scheinbar überhaupt nicht mit irgendwelchen Daten, um die Wirkung der eigenen Arbeit zu überprüfen. Auch für Stadtverordnete selbst ist es nicht immer einfach, zu wissen, wo welches Verfahren denn gerade steht. Ich bin mal von einem Stadtverordneten gefragt worden, wie es denn um den Versuch steht, ein paar Straßen in der Innenstadt zu einem „Leitersystem“ umzubauen. Wenn ER es schon nicht wußte… Stattdessen wird über die tollen Maßnahmen des Brundtlandbüros erZÄHLT und die schönen bunten Luftballons hervorgehoben. Will man sich tatsächlich ein Bild von der Politik machen, muss man sich mit Mühe und vielen Hürden die Daten selbst besorgen, um sich dann qualifiziert äußern zu können. Wenn man das dann tut, merkt man schnell, wie weit zurück die Stadt Viernheim.de in den relevanten Bereichen schon ist. Das wird Jahre dauern, das aufzuholen!
Ich bekomme eher den Eindruck, dass man absichtlich keine Zahlen veröffentlicht, weil sonst das Elend und das Versagen des/der Verantwortlichen offenbar wird. Wie sagen es die Stadtwerke so schön? Wir veröffentlichen aus Wettbewerbsgründen keinen einfach lesbaren Jahresbericht für die Bevölkerung, wie es andere Stadtwerke tun. Kein Wunder, der Wettbewerb ist einfach besser – wie es die Daten aus den Pflichtveröffentlichungen im Bundesanzeiger zeigen. Wenn ich Wettbewerb wäre, wäre mein Blick in den Bundesanzeiger das Erste, was ich tun würde. Hier geht es ganz offensichtlich darum, dem „Volk“ die Wahrheit vorzuenthalten. Ein Propagandaerfolg.
Dabei hat Beteiligung Vorteile: In Viernheim leben viele Menschen, die Fachmensch sind in Dingen, die für die Stadt relevant sind. Und Menschen, die viel besser sind, als die, die gerade „an der Macht sind“ oder die ihren Dienst bei der Stadt tun oder im Stadtparlament sitzen. Das meine ich gar nicht despektierlich, denn als kleine Stadtverwaltung kann man sich die vielen Experten gar nicht als eigenes Personal leisten. Dieses Knowhow zu nutzen, wird der Schlüssel sein für die Bewältigung der vielen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft. Es nicht Aufgabe der Stadt, des Bürgermeisters oder des Stadtparlaments diejenigen zu sein, die alles am besten wissen, sondern das Wissen um uns herum zu nutzen und zu orchestrieren, um die Stadt in die Zukunft zu führen.
Ja, Partizipation ist wichtig in einer Demokratie und es werden sich (wieder) Leute zum Mitmachen begeistern lassen. Aber es sind die Rahmenbedingungen, die dafür relevant sind. Wenn die stimmen, wird vielleicht auch eine Videoübertragung der Gemeinderatssitzung interessant – wenn das dann überhaupt noch notwendig ist. Wenn Viernheim es so macht, wie immer, wird das wie folgt ausgehen: Einführung der Übertragung mit großem Tamtam, Selbstlob und vor allem Stolz auf die Innovation (die freilich anderswo schon lange und selbstverständlich existiert). Dann wird es niemand nutzen, weil die Rahmenbedingungen für politische Teilhabe und politisches, außerparteiliches Engagement nicht stimmen
, und dann versinkt es im Sumpf der vielen erfolglosen Versuche anderer Dinge, die nicht funktioniert haben, weil man das eigentliche Problem nicht verstanden hat. Nicht schauen, was anderswo toll und innovativ klingt und das dann kopieren, ohne es zu kapieren! Nachdenken und verstehen sind immer hilfreich.“