Videoüberwachung als Univerallösung für Viernheim?
Vor ein paar Tagen ging es im Viernheimer Tageblatt um das Thema Recht und Ordnung und in diesem Zusammenhang wurde dann auch das Thema Videoüberwachung diskutiert. Einige der gefragten Parteien und Wählergruppen haben sich für Videoüberwachung an veschiedenen Orten ausgesprochen.
Es wäre ja auch zu schön: Man stellt Kameras auf, die bösen Buben sehen die Kameras und vor lauter Schreck stellen sie das böse Treiben ein und werden ehrliche und hilfsbereite Menschen. Doch wie ist es wirklich? Hilft Videoüberwachung tatsächlich? Kommt drauf an. In neutralen wissenschaftlichen Studien ist der Nutzen von Videoüberwachung sehr begrenzt. Auch wenn man nicht nach wissenschaftlichen Studien schaut, kann man zum Beispiel beim Blick auf London, eine Stadt mit sehr hoher Dichte an Videokameras, sehen, dass dort die Kriminalität nicht wirklich niedriger geworden ist.
In anderem Zusammenhang bin ich dazu Anfang 2019 der Fragestellung intensiv nachgegangen und habe die Ergebnisse in einem Fachartikel zusammengestellt. Dessen Inhalt geben ich hier zu Ihrer Information erneut zum Besten. Schauen Sie selbst und entscheiden Sie, ob die im Wahlkampf vorgetragenen Argumente ziehen oder nicht.
Was bringt Videoüberwachung?
So schön das klingt und menschlich durchaus auch verständlich ist (Wer will sich denn schon bei einer Straftat filmen lassen?), die Realität sieht anders aus. Die praktischen Erfahrungen mit dem Erfolg von Videoüberwachung sind über die letzten 10 bis 15 Jahre eher negativ. Ganz im Gegenteil, in (Modell-)Projekten nimmt die Anzahl der „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ zu, teilweise sogar um 50% und mehr. Auch in Städten wie London, denen man im Bereich Videoüberwachung kein zu vorsichtiges Vorgehen vorwerfen kann, haben in 2018 beispielsweise die Morde zugenommen.
Zugeschriebene positive Effekte von Videoüberwachung:
- Täter können während der Tat entdeckt und gleich festgenommen werden
- Abschreckungseffekt: Täter werden abgeschreckt und nehmen das Risiko, entdeckt zu werden, nicht in Kauf.
- Wachpersonal kann effektiv dort eingesetzt werden, wo gerade Taten begangen werden.
- Videoüberwachung führt zu einem höheren Sicherungsgefühl auf den überwachten Plätzen. Dadurch halten sich mehr Menschen dort auf. Die größere Anzahl an Menschen schreckt wiederum potenzielle Täter ab.
- Videoüberwachung zeigt der Öffentlichkeit, dass die Verantwortlichen etwas tun, um Straftaten zu verhindern.
- Menschen, die sich im überwachten Raum bewegen, verhalten sich sicherheitsbewusster, sind aufmerksamer und schaffen Sicherheitsvorkehrungen.
Den positiven Effekten stehen negative Effekte gegenüber:
- Verdrängungseffekt: Wenn man einen abschreckenden Effekt unterstellt, so ist davon auszugehen, dass der Einsatz von Videoüberwachung Täter an andere Orte verdrängt und damit die Straftaten insgesamt nicht weniger werden.
- Gewöhnungseffekt: Ein abschreckender Effekt der Videoüberwachung wird sich im Laufe der Zeit abschwächen. Studien belegen, dass in manchen Modellprojekten im ersten Jahr eine Wirkung vorhanden war, diese dann aber schnell nachließ.
- Straftäter planen die Kameras in ihre Aktivitäten ein und sorgen dafür, dass die Aufnahmen nicht zu einer Aufklärung beitragen (z.B. Vermummung).
- Abschreckende Wirkung auf normale Bürgerinnen und Bürger: Bürger meiden die videoüberwachten Plätze, weil sie gefährlich sein müssen, sonst würden diese ja nicht überwacht. Außerdem könnte man sich verdächtig machen, wenn man sich dort aufhält.
- Zivilcourage und Anzeigeverhalten gehen zurück, da angenommen wird, dass die offiziellen Stellen das ja ebenfalls sehen und einschreiten werden.
- Bürgerinnen und Bürger ändern ihr Verhalten unter Beobachtung. Man weiß schließlich nie, wer da gerade zuschaut. Selbstkontrolle und Selbstzensur sind die Folge und schränken die Freiheit ein.
Neben vermuteten positiven Effekten stehen eben auch Negativeffekte, die man berücksichtigen muss, wenn man über Videoüberwachung nachdenkt. Dazu lohnt auch, sich einmal Berichte von verschiedenen Projekten anzuschauen. Dabei muss man darauf achten, wer die Berichte geschrieben hat und ob vermutet werden kann, dass diese objektiv untersuchen und berichten. Die „Whitepapers“ von Herstellern solcher Systeme sind es eher nicht.
Interessant ist oft auch, wenn die objektive und wissenschaftliche Auswertung eingestellt wird, wenn die Ergebnisse nicht im Sinne der Politik ausfallen. So wird beispielsweise gerne aus Berlin und von einem in 2006 durchgeführten Pilotprojekt berichtet. Hier wurde Videoüberwachung in drei U-Bahn-Linien getestet. Im Rahmen des Projektes wurde die wissenschaftliche Auswertung des Projekts nach kurzer Zeit gekündigt und die Videoüberwachung daraufhin ausgeweitet. Eine Bürgerrechtsgruppe erzwang die Offenlegung des Berichts, der nachwies, dass die Kriminalitätsrate nicht sank, sondern, im Gegenteil, sogar angestiegen ist. Es lohnt also ein distanzierter Blick auf die einzelnen Modellprojekte.
Aufklärung, Sicherheitsgefühl und Abschreckungseffekt
Mit den Argumenten Aufklärung von Straftaten, Steigerung des Sicherheitsgefühls und Abschreckung wird die Notwendigkeit von Videoüberwachung gerne begründet. Wenn man sich die Fakten anschaut, ist dies umstritten.
Aufklärung:
Videoaufnahmen können bei der Fahndung nach Straftätern helfen. Allerdings muss man auch fragen, wie viele Täter auch ohne die Aufnahmen gefasst worden wären. Dies lässt sich in der Regel nicht überprüfen. Hinzu kommt, dass bei vielen aufgezeichneten Fällen Täter nicht ermittelt werden können, weil Aufnahmen zu schlecht sind, der Blickwinkel ungünstig, die Täter maskiert oder ähnliches.
Sicherheitsgefühl:
Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nimmt durch Videoaufnahmen – wenn überhaupt – nur kurzfristig zu. Studien zeigen, dass der Effekt schnell verpufft und sogar ins Gegenteil umschlägt. Kameras können bestehende Unsicherheiten entsprechend bestärken nach dem Motto „Wenn hier überwacht werden muss, ist wohl etwas faul“.
Abschreckung:
Bezogen auf den Abschreckungseffekt sind die Ergebnisse eher zweifelhaft. Allerdings sind die Studien nicht eindeutig und wohl vom Kontext abhängig. Studien aus Großbritannien zeigen, dass in Parkhäusern ein leichter Rückgang der Kriminalitätsrate erreicht wurde. Vergleichbare Untersuchungen in den USA stellten dagegen keinen vergleichbaren Effekt fest. Insofern muss man wohl konstatieren, dass Videoüberwachung keine universelle Lösung sein kann. Hinzu kommt der Verdrängungseffekt. Dann finden die Straftaten eben woanders statt.
Damit sind die allgemeinen erwarteten Effekte von Videoüberwachung mehr als zweifelhaft.
Keine Auswirkungen auf Kriminalität nachweisbar
Dies bestätigt nun noch mal eine aktuelle und methodisch aufwändige Studie (2018) aus den USA, in der über 10 Jahre hinweg der Umkreis von 86 Kameras evaluiert wurde. Sie zeigt, dass es durch die Kameras keine Reduzierung der Kriminalität gegeben hat – weder Kriminalität durch Straßenkriminalität noch durch Ordnungsstörungen.
Skepsis ist also angebracht. Gleichwohl können sich positive Effekte in ganz bestimmten Situationen und Kontexten ergeben. So gehen Studien davon aus, dass eine Videoüberwachung in Parkhäusern die Zahl der Diebstähle aus PKWs deutlich reduzieren kann. Ähnliches gilt für die Prävention bei Fahrraddiebstählen an bestimmten Orten oder die Beseitigung von Angst-Räumen in Stadtgebieten wie Unterführungen. Hier kann Videoüberwachung in Verbindung mit anderen Maßnahmen wie Notrufknöpfen, Müllbeseitigung, Reinigung, Beleuchtung und regelmäßigen Begehungen durch Streifen zum Sicherheitsgefühl beitragen. Allerdings muss man hier schon wieder fragen, welchen Anteil die Videoüberwachung angesichts der anderen Maßnahmen dann noch hat.
Ein weiteres Fragezeichen gilt der Kosteneffizienz der Maßnahmen und der Frage ob eine Investition in personelle Ressourcen nicht die bessere Wahl ist. Videoüberwachung findet ja nicht kostenfrei statt, sondern erfordert den Kauf und die Installation, als auch regelmäßig Wartung von Anlagen und Netzen – ganz zu schweigen davon, dass die vielen Videos ja auch irgendwer ansehen muss.
Die Fachverantwortlichen in der Verwaltung und die Politikerinnen und Politiker sollten das Thema also behutsam und evidenzbasiert angehen. Vielen Menschen in der Bevölkerung wünschen sich Videoüberwachung (insbesondere wenn sie nach Anschlägen oder entsprechenden Vorkommnissen dazu befragt werden). Aber nur, weil eine subjektiv plausible Lösung gewünscht und vorgeschlagen wird, ist sie noch keine wirksame Lösung. Daher gilt es, den Wünschen nicht wider besseres Wissen nachzugeben, nur um zu zeigen, dass man eine Lösung hat. Ein solches politisches Handeln ist verantwortungslos.
Gleichwohl gilt es, nach Wegen zu suchen, um die Problematik zu lösen. Dies werden wir an anderer Stelle noch tun.
Hinweis zum Schluss: Der Lehrstuhl für Kriminologie und Polizeiwissenschaft an der Ruhr- Uni Bochum gibt den interessanten „Polizei-Newsletter“ heraus. http://www.polizei-newsletter.de/ Der Newsletter informiert monatlich über aktuelle Forschungen, Aufsätze und Berichte mit Bezug zu Polizei und Sicherheit.
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