Wie gut ist es eigentlich um die Demokratie in Viernheim bestellt?
Auf den ersten Blick funktioniert die Demokratie in Viernheim ganz gut. Wir haben ein gewähltes Stadtparlament, welches in demokratischen Prozessen entscheidet, diese Entscheidungen vorab in Fachausschüssen vorbereiten lässt. In der Regel können Entscheidungen einfach gefällt werden, man ist sich einig.
Allerdings sind die Ergebnisse dieser Politik schlecht. Bezogen auf die Aktivitäten zum Klimawandel wird weit weniger getan als notwendig wäre, die Straßen sind in schlechtem Zustand, es fehlen jede Menge Kitaplätze, für eine Sporthallensanierung gehen schon mal fünf Jahre ins Land und für größere Projekte wie jetzt beim neuen Stadtteil Nordweststadt II stehen Bürgerinnen und Bürger auf und wehren sich. Wer hinterfragt alles das kritisch?
Die Vertreter im Parlament sind sich einig. Viele Bürgerinnen und Bürger sind mit diesen Entscheidungen unzufrieden und nicht einverstanden. Wo früher der Streit um Positionen und Argumente im Stadtparlament geführt wurden, findet er heute zwischen Politikern auf der einen und den Bürgern auf der anderen Seite statt. Die Opposition sitzt außerhalb des Parlaments, sammelt Unterschriften, macht sich kundig, argumentiert, nimmt die schönen Verheißungen der Politik auseinander und schreibt Leserbriefe.
Demokratie braucht den Austausch zwischen Interessen, den Streit um Ideen, das gemeinsame Ringen um Lösungen. Nur so können gute Lösungen entstehen. Wenn sich die Politiker im Stadtparlament nun weitgehend einig sind, viele Bürgerinnen und Bürger mit den Entscheidungen aber unzufrieden, findet das nicht mehr statt. „Euch fehlt das Hintergrundwissen“ oder die „Entscheidungen sind alternativlos“ wird dann gerne argumentiert. Kontrovers diskutiert wird eher ungern.
Und in den einzelnen Parteien geht es ähnlich zu. Mitgliederversammlungen werden nur noch von einem kleinen Teil der Mitglieder besucht, viele treten aus, sogar einige aus wichtigen Funktionen. Auch im Stadtparlament sitzen lange nicht mehr die, die noch anfangs der Legislaturperiode dort saßen. Auch da haben sich einige – aus welchen Gründen auch immer – zurückgezogen. Genauso wie viele, die sich gerne in Parteien engagieren würden, man dort aber lieber Entscheidungen in kleinen Kreisen trifft und man als Neuer hier nur schwer Fuß fassen kann. Dann lässt man es eben wieder sein.
Gleichzeitig – und das ist das Gute – gibt es ein bemerkenswertes politisches Engagement von Bürgerinnen und Bürgern. Zu den Flüchtlingsheimen treffen sich Betroffene, tauschen sich aus, wehren sich, sammeln Argumente und versuchen, mit der Stadt ins Gespräch zu kommen. Gegen das Baugebiet Nordweststadt II wehrt sich eine Gruppe seit vielen Wochen, erarbeitet tiefgründige Analysen, befasst sich mit den finanziellen Risiken des Projektes für den städtischen Finanzhaushalt, fragen, wo denn für die Kinder der 2000 neuen Einwohner die Kitaplätze herkommen sollen, hinterfragen die ökologischen Konsequenzen und vieles mehr. Wenn man das so sieht, wünscht man sich, dass das Stadtparlament seine Entscheidungen ähnlich fundiert treffen würde, wie hier Bürgerinnen und Bürger ganz ohne geheimes Hintergrundwissen argumentieren.
Das sind nur einzelne und aktuelle Beispiele für politisches Engagement. Wille sich zu beteiligen ist genug da, es fehlen aber sinnvolle Rahmenbedingungen, in denen das möglich ist. Die Parteien sind es aktuell eher nicht. Beteiligungsformate der Stadt wie zum Beispiel zur Gestaltung des Tivoliparks oder anderen Projekte, sind es auch nicht. Zu oft, wurde vorgeblich beteiligt und dann doch was anderes gemacht.
Es ist an der Zeit, dass sich Parteien, Wählergemeinschaften, Bürgermeister und Erster Stadtrat, die Fachleute aus der Verwaltung gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern Gedanken machen, was zu verändern ist. Politik muss wieder offener werden für das, was die Bürger umtreibt, muss vor zu treffenden Entscheidungen Bürger / Betroffene anhören, gegenteilige Meinungen zulassen, Entscheidungen ggf. auch wieder revidieren und neu bedenken, idealerweise Bürger einbeziehen, um neue und vielleicht bessere Entscheidungen zu treffen. Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, in denen man sich einbringen kann und mag, wo man sich an bedeutenden politischen Entscheidungen beteiligen kann, mit seiner Meinung ernst genommen wird, sich über Argumente austauscht und gemeinsam im Gespräch nach guten Lösungen sucht.
Viernheim konnte es besser und kann es besser. Nur tun, müsste man halt. Die nächste Kommunalwahl kommt!
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